Montpellier Aeroport – die Sonne scheint und die kleine Eurowings-Maschine macht sich für den Start fertig. Dieser Flughafen ist so entspannt und alles mutet gelassen an, in der Ferne der Hausberg von Montpell‘ Pic St Loup, im Flieger ein Stewart der kein Wort Französisch spricht. Wo sind wir denn hier? Der Start verzögert sich und da der Download des jüngsten Buches von Anna Gavalda gerade nicht klappt, arbeitete ich in meinen Blog meine erste französische Episode ein.
Vor knapp drei Wochen kam ich bei kühlem Schmuddelwetter in der Stadt an und fuhr durch den Regen in die Cevennes. der Pic St Loup blieb wolkenverhangen und ich wollte das als Zeichen deuten und entschied, dass dies nicht mehr mein Platz ist.
Wie viel ist doch in der Zwischenzeit passiert, und wie wenig eigentlich auch wieder. Eines, da bin ich mir sicher bin: Ich komm wieder! Und nicht erst in 15 Jahren, c’est promis!
Vom Bahnhof ging es mit Tram und Bus nach Ganges (nein, nicht der indische Fluss, sondern die südfranzösische Kleinstadt), dort wartete Sebastien (Seb) auf mich, der mich erst einmal beim nächsten Supermarkt absetzte. Ein französischer Supermarkt ist so etwas wie Schlaraffenland, so viele Lebensmittel sind erinnerngsbeladen (saucisson pur porc), schmecken einfach gut (aïoli), sind typisch französisch (fromage de chèvre), machen mich neugierig (Creme de marrons a l’orange) oder müssen einfach sein (rayon patisserie, chaussons aux pommes etc.) Das wenigste gehört zu dem, was ich normalerweise unter gesunder Ernährung verstehe, aber meine Frankreichaufenthalte sind leider/zum Glück nie so lang, dass ich das als Priblem sehe. Allein schon die bunt bedruckte Einkaufstasche und der Tonfall der Kassiererin sind eben … französisch. So stand ich mit gleich zwei Riesentaschen beladen eine halbe Stunde später wieder am Auto, wissend, das ich mindestens ein Drittel nicht würde essen können, dafür reichte die Zeit gar nicht.
Mein Ziel hieß Dejamling in der Gemeinde St André de Majencoult oder so, und der Hof liegt gut 7km abseits der normalen Straße in einem Seitental mit insgesamt fünf anderen Häusern, das nächste 20 Minuten zu Fuß. Nach so viel Fülle an Begegnungen, an Aktivitäten und überhaupt suchte ich jetzt das Kontrastprogramm: Nichtstun und besinnliche Einsamkeit in der Natur. Dejamling ist so etwas wie das südfranzösische Landhaus von Dzamlinggar auf Teneriffa, die Cevennen gerade so weit von der Küste weg, dass es zwar meist warm ist, aber Landschaft und Klima eher rauher. Hier habe ich ein paar hundert Meter vom Haupthaus entfernt eine kleine Hütte, wo ich dann ganz alleine wohne. Nachts hörte ich, was das im Wald heißt: wie die Mäuse die Dachisolierung anknabbern und Rehe und Wildschweine das Eichellaub ums Haus durchwühlen. Natürlich hab ich mich in den ersten Nächten versichert, dass sich nicht doch ein ungebetener Gast im Wald rumtrieb. Eigentlich unbegründet, denn zu der Hütte führte wirklich nur der Trampelpfad, den ich jeden Tag runterging um mir in der Küche etwas zu kochen. Pipi-Eimer und Komposttoilette im Wald, nix Wifi, dafür aber einen kleinen Heizstrahler, ohne den ich morgens nicht unter den vier Decken hervorgekrochen käme. Da saß ich dann, hab in der Sonne gelesen und meditiert, mich durch meine Vorräte gegessen, bin im Wald spazieren gegangen und habe mich erfolgreich im Ausschlafen geübt. Neun bis zehn Stunden pro Nacht wurde schnell zur Routine, es geht also doch! Auf meiner Terrasse sah ich den Sonnenuntergang oder die Gewitterblitze über den Bergen und die Nebelschwaden im Tal.
Hört sich gut an, doch natürlich bin ich nicht nur nach Feankreich zum Ausspannen gefahren. Am Wochenende kamen die Franzosen aus Montpellier und Marseille und Anna aus ihrer Hütte. Jedes Wochenende war ein anderer Workshop dran, Tanz, Yoga, Atemübungen etc. und ich schnupperte in das Programm rein. Sie schleppten noch mehr bunt bedruckte Einkaufstaschen an, flaschen- oder kanisterweise Rotwein und jede Menge Gesprächsstoff – es waren ja gerade Wahlen und Franzosen diskutieren eh gerne. Für mich die Gelegenheit, wieder richtig drauf los reden zu können, französische Tischrunde eben. Einige kannte ich noch von Teneriffa, neue Bekanntschaften wurden geknüpft und ich fühlte mich in der Runde pudelwohl. Obwohl ich es manchmal auch alsvTheaterstück empfand. c’est subliiiime! mais c’est merveilleeeuuux!!! Wer setzt hier gerade wen in Szene? Bin ich noch Zuschauerin oder schon mittendrin? Am Sonntag Mittag hatte ich Küchendienst – auch wenn ich als Seminarköchin erfahren bin, vor dem französischen Gaumen hab ich doch einen gewissen Respekt, vor allem, wenn dann noch die verschiedenen Befindlichkeiten (Bio, vegan, glutenfrei etc ) berücksichtigt werden sollen. Hab ich aber gut hingekriegt, es gab eine Kartoffel-Lauchsuppe und Couscous (Tant pis pour le gluten). Klar, dass da jemand meinte, genau herauszuschmecken, wie viel Prisen Muskat nun genau in der Suppe wären, sie sind auch eben unverbesserlich, les Français, ansonsten hätte ich die volle Anerkennung der Gemeinschaft. Jemand meinte noch, dass Wein am Mittag der Praxis nicht unbedingt dienlich sei, aber irgendwie gehörte er eben dazu, wie der Käse hinterher, auch wenn das nun wieder nicht meine Idee war. Aber eben excellent! Für mich die richtige Mischung aus Ruhe und Gemeinschaft – wenn es mir zu viel wurde, hatte ich ja meine Hütte.

Spurensuche
Die Mega-Überraschung kam, als mir Seb mitteilte, dass ich am Wochenende drauf das Auto der Gemeinschaft haben konnte, als internationales Mitglied deckte mich ihre Versicherung. Bevor es los ging, gab es eine kleine Einweisung, da Auto und Weg ihre Macken hatten. Das Auto: Der erste Gang geht nicht immer rein und der Rückwärtsgang auch nicht, da muss man erst einmal Bremse anziehen, lockern und noch mal versuchen. Der Weg: einspurige Schotterpiste am Hang, schlecht befestigt, Vorsicht, hier ist letztes Jahr jemand den Hang runter gerutscht, und diese Kurve ist mit Bedacht zu nehmen. Dann war ich raus aus dem Tal und folgte dem Flusslauf des Herault gen Süden. Erst einmal ließ ich mich treiben, hier ein Eis, dort eine nette Bucht am Wasser, doch schon schnell wurde ich in eine Richtung gezogen. Pic St. Loup und St Mathieu de Treviers, meine Reise in die Vergangenheit.
Dominicaine des Tourelles
Pic St. Loup
1983 war ich 18, hatte gerade mein Abi in der Tasche und wollte Französisch lernen (in der Schule lag der Schwerpunkt auf Latein). Über ein paar Ecken bekam ich die Adresse: Dominicaines des Tourelles in St. Mathieu de Treviers. Dort war ich ein knappes Jahr Teil einer internationalen Gruppe junger Freiwilliger, die den Nonnen halfen ihre Hotellerie zu betreiben. Es war ein offenes Haus, in dem erst einmal alle willkommen waren, egal mit oder ohne Jesus im Herzen. Es war auch für mich eine offenevZeit voller Begegnungen, Menschen mit verschiedenen Sprachen, Hintergründern, Ideen. In unserer Gruppe hatte es mir vor allem ein Holländer sehr angetan, so dass ich nicht nur mit passablem Französisch wieder in den Norden zog, aber auch kurzerhand alle meine weiteren Studiums- und Lebenspläne in die Niederlande verlegte. Also ein Ort, der mein Leben geprägt hat. Und ein beständiger Ort, für 24 Stunden hatte ich hier wieder ein Zimmer, die gleiche Einrichtung wie damals, die gleichen Essenszeiten, die gleiche Gebetsabfolge in der Kapelle. St. Mathieu hat sich von einem Dorf zu einer schönen Stadt gemausert. Die Nonnen, die damals federführend waren, sind nicht mehr da und die damals Novizin werden wollte, ist heute Oberin. Nachwuchs gibt es nicht, Au Pairs auch nicht mehr. Das hatte ich nicht anders erwartet und auch ich war ja seitdem andere Wege gegangen. ich war mir vorab also nicht sicher, ob dieser Ort noch zu mir sprechen würde. Er tat es! Spätestens in dem Moment, als die Nonnen das Osterlied anstimmten : Il est vivant comme il a promis … – da kamen die Erinnerungen, ein lachendes und ein weinendes Auge und bei Abfahrt auch wieder die Gewissheit, dass dies einer meiner Lebensorte ist, egal ob es dieselben Nonnen wie damals sind oder ich nun wieder in Deutschland wohne. Für alle, die wissen wollen, was dort sonst so vor sich geht: an diesem Wochenende war das Haus gefüllt: Ein Symposium zum Thema Monotheismus und Gewalt, eine Vernissage und Filmvorführung lockte so einige aus Montpellier. Für alle, die den Ort selber erkunden wollen: Les Tourelles.
Am Sonntag Abend war ich wieder im Hier und Jetzt angekommen, das für mich im Mai ja in einem Tal in den Cevennen liegt, auf meinem Meditationskissen, bei den Eulen der Nacht und am Freitag dem Miteinander mit den lebensfrohen Franzosen. Denen überlass ich meine Essenreste (Maiswaffeln … die französischen Köstlichkeiten sind alle in meinem Magen verschwunden). Bis mich Seb beute morgen wieder in sein Auto lud und ich mit Bus und Bahn am Flughafen Montpellier ankam, um meine Reise fortzusetzen. C’est subliiime!
